11.02.2022
Energieeffizienz ganzheitlich betrachtet - mit einer Wärmepumpe als Zentrum
Mit dem Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten hat die Stellberg Wohnbaugesellschaft in Graben-Neudorf / Baden-Württemberg ein ökologisch, sozial und gesellschaftlich bemerkenswertes Objekt realisiert. Das Gebäude bedient nicht nur alle zentralen städtebaulichen Anforderungen, sondern ist als „Green Building“ zugleich besonders nachhaltig. Durch eine gemeinsam mit der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten konzipierte Außenwohngruppe ist es auch noch Vorbild für Mieterdurchmischung und Inklusion.
Wenn man einmal – durchaus willkürlich – maßgebliche Schlagworte zu aktuellen sozialen, gesellschaftlichen, umweltpolitischen und städtebaulichen Aufgabenstellungen hintereinander reiht, werden die gravierenden Umbrüche und Herausforderungen deutlich, vor denen die Zukunft des Bauens steht. Zum Beispiel, wenn es um verdichtetes Bauen geht, damit dem „Flächenfraß“ speziell im Speckgürtel von Ballungszentren Einhalt geboten wird. Oder die Chancengleichheit im Fokus ist – einschließlich gesellschaftlicher Durchmischung und Inklusion in den Quartieren. Und auch nachhaltiges Wohnen zum Thema wird, weil dieser Sektor mit gut 25 Prozent Primärenergiebedarf einen noch immer viel zu hohen Anteil am CO2-Ausstoß hat.
Die daraus resultierenden, teilweise direkt miteinander konkurrierenden Zielsetzungen zusammenzuführen, ist zweifellos schwierig – aber machbar, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Das zeigt ein Neubauvorhaben in Graben-Neudorf (Landkreis Karlsruhe). Dort hat die ortsansässige Stellberg Wohnbaugesellschaft in enger Abstimmung mit der Kommune und der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten in einem neu erschlossenen Baugebiet bei optimaler Ausnutzung des Baufeldes ein Mehrfamilienhaus mit acht Wohneinheiten auf dem Energieniveau „Effizienzhaus KfW 40 plus“ mit einer Luft/Wasser-Wärmepumpe und dezentraler Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung realisiert.
Hier ist im Sinne der kommunalen Vorstellung „Nicht nur Wohnbebauung!“ über die Einrichtung einer Außenwohngruppe der Lebenshilfe ein zukunftsweisendes Wohnmodell im Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen entstanden. Bernd Gärtner freut sich als Vorstand der Lebenshilfe besonders über dieses Modell, denn „es ist für uns ein großes Problem, solchen Wohnraum für die von uns betreuten Menschen zu finden. Vor allem, weil in der Region generell Wohnungsmangel herrscht. Gleichzeitig fordert aber das Bundesteilhabegesetz, dass auch Menschen mit Behinderungen möglichst selbstbestimmt leben.“ Vor diesem Hintergrund sei der gemeinsam mit der Stellberg Wohnbaugesellschaft in Graben-Neudorf realisierte Neubau fast schon ein Leuchtturmprojekt, weil hier sogar Größe und Zuschnitt der Apartments im Vorfeld auf die spezifischen Bedürfnisse der Lebenshilfe-Bewohner abgestimmt wurden.
Erste Schlüsselfrage: „bauliche Inklusion“
Die erste Schlüsselfrage für den Planer war damit, „wie wir die Vorgabe aus der Heimstättenverordnung, die bei Nutzung der Räume durch die Lebenshilfe greifen, in einem eigentlich ,ganz normalen Mehrfamilienhaus‘ technisch und wirtschaftlich umsetzen können“, erinnert sich Wohnbau-Geschäftsführer Oliver Stellberg. Wertvolle Unterstützung gab es dabei vom Gebäudemanager der Lebenshilfe, sodass neben den trockenen Eckdaten aus den Regelwerken in der Grundrissgestaltung und der Wohnungsausstattung zugleich lebenspraktische Elemente berücksichtigt werden konnten.
Carmen Stein-Eichhorn, Leiterin des Wohnheims, ist vom Ergebnis begeistert: „Die Räume sind ausgesprochen freundlich und wohnlich, haben ein tolles Klima und überhaupt nicht den sonst üblichen Heimcharakter. Entsprechend wohl fühlen sich unsere sieben Bewohner. Vor allem, weil sie gleichzeitig komplett in die Hausgemeinschaft integriert sind – ein ganz tolles Modell, das es so öfter geben sollte!“
Zweite Schlüsselfrage: Energieeffizienz
Für den gelernten Diplom-Bauingenieur Stellberg als Entwurfsverfasser und Mit-Investor in Personalunion war das Bauvorhaben allerdings auch noch aus einem zweiten Grund Neuland. Denn üblich sei für solche Objekte typischerweise der Effizienzstandard KfW 55: „Hier lautete also die Kernfrage ,Was müssen wir tun, um auf das Niveau Effizienzhaus KfW-40 plus‘ zu kommen? Und gleichzeitig, versteht sich, das Projekt auch noch kostenmäßig darstellbar zu halten.“
Möglich war es letztlich durch den Entwurf eines Baukörpers mit energetisch optimaler – architektonisch trotzdem ausgesprochen attraktiver – Umfassungsfläche, einer bemerkenswert guten Bauqualität, einer abgestimmten Bau- und Energietechnik mit der Zielsetzung „Passivhaus“ – und „einer mit 15.000 Euro pro Wohnung ausgesprochen attraktive Förderung durch Land und Bund,“ bilanziert Stellberg. „Natürlich hatten die Mehr-Investitionen in die Gebäudehülle und die TGA mit den zentralen Komponenten Luft/Wasser-Wärmepumpe, KWL mit Wärmerückgewinnung und PV-Anlage zur Eigenstromversorgung im wahrsten Sinne des Wortes ihren Preis. Die Mehrkosten wurden aber durch die Förderung weitestgehend abgefangen, sodass wir jetzt vergleichsweise günstigen Wohnraum mit dauerhaft niedrigen Nebenkosten anbieten können. Und das ist für unsere Mieter wie für die Lebenshilfe ein entscheidendes Kriterium.“
In konkreten Zahlen heißt das: Investiert wurden rund 2,2 Millionen Euro. Der Mietzins liegt bei etwa 8,70 Euro warm pro Quadratmeter, also etwa 40 Prozent (!) unter dem Durchschnitt in der Region.
TGA hochpräzise abgestimmt
Hinter diesen niedrigen Verbrauchs- und damit Nebenkosten steht eine von Gebäudeenergieberater und Heizungsbaumeister Jan Schwartz, Geschäftsführer der Schwartz GmbH (Graben-Neudorf), ganzheitlich konzipierte Wärmetechnik. Kernstück ist dabei eine Luft/Wasser-Wärmepumpe mit zwei Außeneinheiten: „Deren 15 kW Leistung (A-7/W35) reichen in Kombination mit dem nachgeschalteten 1.100-Liter-Pufferspeicher vollkommen aus, um den durchschnittlichen Heizwärmebedarf und den für Trinkwasser warm abzusichern. Und wenn kurzfristig mehr Leistung beispielsweise für die thermische Desinfektion benötigt wird, steht noch ein Gas-Brennwertgerät mit bis zu 30 kW Leistung modulierend als ,Backup‘ zur Verfügung.“
Weil das aber tatsächlich nur an wenigen Tagen im Jahr notwendig ist, fällt die Energiebilanz im Mehrfamilienhaus im wahrsten Sinne des Wortes ausgesprochen positiv aus. Durch die rund 160 m2 große PV-Fläche auf dem Hausdach wird so viel Strom vor Ort erzeugt, dass der Neubau bilanziert einen Energieüberschuss erzielt. Schwartz: „Dafür muss die TGA aber vorher in ihrer Gesamtheit betrachtet und dann sehr präzise ausgelegt werden, denn die Zielsetzung ,Green Building‘ war hier mehr als sportlich. Aber genau deswegen gibt es beispielsweise auch den großen Speicher, der nicht nur die komfortable Versorgung sicherstellt, sondern zusätzlich als Energiepuffer für überschüssigen Solarstrom dient, den wir von der bildlich gesprochen bis zum letzten Zentimeter für PV ausgereizten Dachfläche holen.“
Wertvolle Erkenntnisse gesammelt
Für Oliver und Matthias Stellberg, die gemeinsam die Stellberg Wohnbaugesellschaft führen, ist das Projekt in Graben-Neudorf dadurch zugleich prototypisch für eine neue Qualität der Zusammenarbeit der Gewerke: „Wenn wir die Bedürfnisse der Bewohner und die energetische Zielsetzung bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens auf diesem hohen Niveau erreichen wollen, müssen wir frühzeitig die Expertise aller Beteiligten zusammenführen. Also in Bezug auf die PV-Anlage zum Beispiel Energieberater und Statiker für eine optimale Ausnutzung der Fläche. Oder bei den wohnungsweise installierten KWL-Anlagen Planer, Installateure und Brandschutzsachverständige, um möglichst wirtschaftlich und trotzdem brandschutztechnisch sicher zu bauen.“
In der Summe, so die beiden Geschäftsführer, war das ambitionierte Vorhaben gemeinsam mit der Lebenshilfe für die Stellberg Wohnbaugesellschaft damit in jeder Hinsicht auf der einen Seite zwar eine Herausforderung. Auf der anderen Seite war das Projekt aber zugleich eine wertvolle Erfahrung in der Weiterentwicklung ihres Unternehmens als Anbieter von schlüsselfertigen Objekten aus einer Hand. „Durch die außergewöhnliche Aufgabenstellung haben wir viele Prozesse, von der allgemeinen Planung über die Auslegung der Wärmetechnik und die Bauabwicklung bis hin zur grundsätzlichen Bewertung der Nutzungsdauer von 50 Jahren und mehr mit all ihren Einflussfaktoren auf den Baukörper wie auf den Betrieb grundlegend hinterfragt. Dadurch wurden viele neue Erkenntnisse gewonnen, die zweifellos in künftige Projekte einfließen und so unmittelbar für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens sorgen werden.“
Weitere Informationen unter
www.vaillant.de
www.stellberg-wohnbau.de
www.heizung-schwartz.de
www.lebenshilfe-bruchsal.de
Diplom-Bauingenieur Oliver Stellberg: „Für uns war dieser Neubau ein Win-win-Projekt, denn wir haben sowohl durch die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe wie das nachhaltige Energiekonzept viele neue Erkenntnisse für künftige Bauvorhaben gewonnen.“
Bernd Gärtner, Vorstand der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten: „Durch die Kooperation mit der Stellberg Wohnbaugesellschaft konnten wir ein einmaliges Inklusionsprojekt realisieren, in das ich sofort selber einziehen würde.“
SHK-Meister Jan Schwartz: „Die Zielgröße ,KfW 40 plus‘ war für ein solches Gebäude herausfordernd, ist aber – wie man sieht – durch eine ganzheitlich ausgelegte TGA doch erreichbar!“
Kompakt, also energetisch vorteilhaft, und trotzdem architektonisch reizvoll: das gemischt genutzte Wohngebäude in Graben-Neudorf.
Barrierefrei oder zumindest barrierearm wurden in dem Neubau alle Bäder ausgestattet. So verschwimmen auch in der Innenausstattung Grenzen zwischen „normalen“ Nutzerbedürfnissen und beispielsweise den Anforderungen, die Senioren an die Sanitäranlagen stellen.
Blick in die nachhaltige Haustechnikzentrale: In der Mitte, neben dem Multifunktionsspeicher die Inneneinheit der Vaillant Luft/Wasser-Wärmepumpe flexoTHERM exclusive, an der Wand darüber das Gas-Brennwertgerät ecoTEC exclusive als „Backup“ für eventuelle Spitzenlasten.
Da geht definitiv nicht noch mehr: Dank enger Zusammenarbeit mit dem Statiker konnte die Dachfläche komplett für die PV-Anlage genutzt werden.
Die beiden Außeneinheiten der Luft/Wasser-Wärmepumpe konnten platzsparend direkt neben der Fahrradgarage am Haupteingang aufgestellt werden, da sie selbst unter Volllast kaum Betriebsgeräusche verursachen.
Matthias Stellberg (re.), Geschäftsführer von Stellberg Wohnbaugesellschaft, und SHK-Meister Jan Schwartz haben die hocheffiziente Wärmetechnik für den Neubau gemeinsam konzipiert und realisiert. Denn „nur durch den engen Austausch und eine frühzeitige Abstimmung ist es möglich, so nachhaltig zu bauen“, sind die beiden überzeugt.
Lebenshilfe-Vorstand Bernd Gärtner und Wohnheim-Leiterin Carmen Stein-Eichhorn wünschen sich noch viel mehr Projektentwickler wie die Stellberg Wohnbau, um ihren Bedarf an geeigneten Wohnungen für Außenwohngruppen gemäß Bundesteilhabegesetz abzudecken.
Abbildungen: Vaillant